Bestellung des bisherigen Wahl- zum Pflichtverteidiger

Bestellung des bisherigen Wahl- zum Pflichtverteidiger

1. Entzieht der Angeklagte in der Hauptverhandlung seinem Verteidiger unter Berufung auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis das Mandat, so hindert dies die Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger jedenfalls dann nicht, wenn die von dem Angeklagten vorgetragenen Behauptungen zwar erheblich, aber ersichtlich unzutreffend sind.

2. Erstattet der nach Mandatsentzug bisherige Wahlverteidiger und sodann als Pflichtverteidiger beigeordnete Verteidiger gegen den Angeklagten wegen der Äußerungen des Angeklagten betreffend die Gründe für den Mandatsentzug Strafanzeige, so liegt darin i. d. R. ein wichtiger Grund, der Anlaß gibt, einem Antrag des Verteidigers auf Entpflichtung stattzugeben.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Verfügung des Vorsitzenden, durch die ein Verteidiger bestellt wird, als Vorentscheidung gemäß § 336 StPO unmittelbar der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, weil das Urteil auf ihr beruhen kann1. Die Statthaftigkeit einer solchen Rüge hängt nicht davon ab, dass der Angeklagte zuvor eine Entscheidung des Gerichts herbeigeführt hat2. Dies gilt in gleicher Weise für einen Beschluss des Vorsitzenden, mit dem die Aufhebung der Beiordnung des Pflichtverteidigers abgelehnt worden ist3.

Der von der Verfassung verbürgte Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren umfaßt das Recht des Beschuldigten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen4. In den Fällen der Pflichtverteidigung erfährt dieses Recht gemäß § 142 Abs. 1 Satz 3 StPO jedoch insoweit eine Einschränkung, als der Beschuldigte keinen unbedingten Anspruch auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger hat. Im übrigen bleibt jedoch der Anspruch des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Anwalt seines Vertrauens unberührt5.

In diesem Anspruch ist der Angeklagte allerdings noch nicht dadurch verletzt worden, dass das Gericht den bisherigen Wahlverteidiger Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellte. Diese Entscheidung des Vorsitzenden lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der Umstand allein, dass der Angeklagte unter Hinweis auf das „unwiderruflich gestörte Vertrauensverhältnis“ dem bisherigen Rechtsanwalt das Mandat entzogen hatte, macht dessen Beiordnung noch nicht verfahrensfehlerhaft. Denn ebenso wie die Erklärung des Anwalts, das Vertrauensverhältnis sei entfallen, für sich allein keine Verpflichtung des Vorsitzenden begründet, von seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger abzusehen6, hindert auch eine entsprechende Behauptung des Angeklagten nicht von vornherein die Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger. Andernfalls hätte es der Angeklagte in der Hand, jederzeit unter Berufung auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis zu seinem Verteidiger einen Verteidigerwechsel herbeizuführen und damit das Verfahren zu verzögern7.

Zwar hat sich der Angeklagte nicht auf die bloße Behauptung beschränkt, er habe zu seinem Rechtsanwalt kein Vertrauen mehr. Die von ihm vorgebrachten Gründe ergaben jedoch bei vernünftiger Betrachtung8 für den Angeklagten keinen Anlass, dem Rechtsanwalt mit Mißtrauen zu begegnen. Denn der Angeklagte wusste, dass sein Verteidiger dem Vorwurf einer solchen Fälschung nachgegangen war und sich für die von ihm behaupteten „Manipulationen“ der kriminalpolizeilichen Niederschriften den Verfahrensakten ersichtlich nichts entnehmen ließ. Weigerte sich bei dieser Sachlage der Verteidiger, den von dem Angeklagten gewünschten Beweisantrag zu stellen, (statt daß der Angeklagte ihn – wie er es auch getan hat – selbst stellte), so lag hierin kein wichtiger Grund, der einer Bestellung des Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger entgegenstand. Der Verteidiger ist Beistand (§ 137 StPO), nicht Vertreter des Beschuldigten9. Diese Aufgabe verlangt von ihm, sich allseitig unabhängig zu halten10 und, wo er durch Anträge oder auf sonstige Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und unabhängig, d.h. frei von Weisungen auch des Angeklagten, zu tun11. Die aus der Sicht des Gerichts unzutreffenden Behauptungen des Angeklagten drängten den Vorsitzenden danach auch nicht zu der Annahme, der bisherige Wahlverteidiger werde die Verteidigung nicht mehr sachgerecht führen.

BGH, Urt. v. 26.08.1993 – 4 StR 364/93

  1. BGH NStZ 1992, 292; BGHR StPO § 142 Abs. 1 – Auswahl 3; Pikart in KK StPO 2. Aufl. 336 Rdn. 4 []
  2. vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1960 – 5 StR 255/60; BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 2 und 3; Laufhütte in KK a.a.O.. § 140 Rdn. 28; Kleinknecht/Meyer StPO 40. Aufl. 141 Rdn. 10; Wagner Anm. zu OLG Hamburg JR 1986, 257, 259 []
  3. vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 453/78 []
  4. BVerfGE 39, 238, 243 [BVerfG 08.04.1975 – 2 BvR 207/75]; 68, 237, 255 [BVerfG 06.11.1984 – 2 BvL 16/83]; Kleinknecht/Meyer A.a.O.. § 137 Rdn. 2 m.w.N. []
  5. BGH NStZ 1992, 247 []
  6. BGHR StPO § 142 Abs. 1 – Auswahl 2 []
  7. vgl. OLG Düsseldorf JZ 1985, 100 []
  8. vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1979 – 2 StR 453/78 []
  9. BGHSt 12, 367, 369 []
  10. BGHSt 15, 326, 327 []
  11. BGHSt 13, 337, 343; 38, 11 []