Die Ablehnung der Bestellung des vom Angeklagten benannten Pflichtverteidigers ist nur unter engen Voraussetzungen möglich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Zweck der Bestellung zum Pflichtverteidiger, nämlich die Gewährleistung einer sachgerechten und ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten, durch Bestellung dieses Verteidigers nicht erreicht werden kann.
Der Senat vertritt seit längerem die Auffassung, dass die Frage der Bestellung oder Abberufung eines Pflichtverteidigers außerhalb der Hauptverhandlung nicht zu den Maßnahmen gehört, die gemäß § 305 StPO der Beschwerde entzogen sind1. Hieran hält er fest.
§ 142 Abs. 1 S. 3 StPO lässt es – ausnahmsweise – zu, dass der Vorsitzende nicht den vom Angeklagten benannten Verteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt, wenn wichtige Gründe entgegenstehen. Als solche Gründe kommen nur Umstände in Betracht, die besorgen lassen, dass der Zweck der Bestellung zum Pflichtverteidiger, nämlich die Gewährleistung einer sachgerechten und ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten, durch Bestellung dieses Verteidigers nicht erreicht werden kann. Diese Voraussetzungen sind ohne weiteres gegeben, wenn nicht gewährleistet ist, dass der Verteidiger überhaupt an der Hauptverhandlung teilnehmen kann2. Auch fehlende Kenntnisse können der Bestellung zum Pflichtverteidiger entgegenstehen3. Dasselbe gilt, wenn bekannt ist, dass der Verteidiger nicht bereit ist, ohne zusätzliche Zahlungen des Angeklagten in dem gebotenen Umfang tätig zu werden oder wenn die Gefahr einer sachwidrigen Verteidigung aufgrund von Interessenkollisionen besteht4.
Ein wichtiger Grund dafür, den vom Angeklagten gewünschten Verteidiger nicht zum Pflichtverteidiger zu bestellen, liegt auch darin, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser seine Stellung als Verteidiger zu verfahrensfremden Zwecken missbrauchen wird. Wer gemäß § 138a StPO als Verteidiger ausgeschlossen werden könnte, braucht nicht zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden. Insoweit kommt auch ein (drohender) Missbrauch von Verfahrensrechten in der Hauptverhandlung gemäß § 138a Abs. 1 Nr. 3 StPO als Ausschlussgrund in Betracht5. Dem steht es gleich, wenn der Verteidiger in der Vergangenheit ein Verhalten gezeigt hat, das seine Abberufung als Pflichtverteidiger aus wichtigem Grund rechtfertigen würde und konkreter Anlass besteht, mit einer Wiederholung dieses Verhaltens zu rechnen6. Einen solchen Fall hat der Senat – gerade auch in Bezug auf Rechtsanwalt S. – grundsätzlich angenommen, als Pflichtverteidiger durch ihren Auszug aus der Hauptverhandlung deren Fortsetzung verhindert haben7.
Der Senat hält die vorstehend dargestellten Ausnahmefälle, die im Interesse der Freiheit der Verteidigung von staatlicher Beaufsichtigung und Bevormundung streng zu handhaben sind8, bereits auf der Grundlage des vom Kammervorsitzenden zugrunde gelegten Sachverhalts, dessen Richtigkeit der Beschwerdeführer zumindest teilweise bestreitet, nicht für gegeben. Der Senat schließt es allerdings ausdrücklich nicht aus, dass die Nichtbestellung zum Pflichtverteidiger darüber hinaus im Interesse des Angeklagten auch gerechtfertigt sein kann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Verteidiger durch Störung der Verhandlungsabläufe, z. B. durch verspätetes Erscheinen, Unterbrechung anderer Verfahrensbeteiligter oder völlig unangemessenen Sprachgebrauch, eine nachhaltige Beeinträchtigung der Verhandlungsatmosphäre erstrebt, die in nicht hinnehmbarer, von den prozessualen Rechten des Beschuldigten nicht gedeckter Weise die Wahrheitsfindung erschwert. Hier kann bei einer Gesamtwürdigung der dem Verteidiger angelasteten Vorfälle ein wichtiger Grund i. S. des § 142 Abs. 1 S. 3 StPO nicht angenommen werden, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausführt:
„Mit seinen die ablehnende Entscheidung begründenden Ausführungen, der Verteidiger habe in einer Reihe von früheren Strafverfahren eine Neigung zu unredlichen Verhalten gezeigt und nach dem Prinzip der sachwidrigen Konfliktverteidigung agiert, beabsichtigt das Landgerichts offensichtlich, eine nicht konfrontationsfreie Verteidigungsstrategie zu kennzeichnen, welche die Möglichkeiten der Strafprozessordnung in nicht mehr hinnehmbarer Weise ausnutzt. Die hierfür gewählte, als Vorwurf ausgestaltete Bezeichnung der „Konfliktverteidigung“ ist als Ablehnungsgrund angesichts des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des fairen Verfahrens und des Anspruchs des Angeklagten auf angemessene Verteidigung nicht tragfähig. Der Verteidiger, so auch der Pflichtverteidiger, ist im Strafverfahren Organe der Rechtspflege. Gleichwohl muss der Verteidiger seinem Mandanten die aus dessen Sicht und nach eigener Beurteilung bestmögliche Verteidigung bieten. Die Angemessenheit und Notwendigkeit von Verteidigungshandeln kann daher nicht allein aus der Sicht des Gerichts beurteilt werden, sondern muss vorrangig an den Belangen des noch als unschuldig geltenden Mandanten gemessen werden. Ein nicht tolerierbares Verhalten dürfte daher nur dann anzunehmen sein, wenn die Verteidigung sich auf bloße Verfahrensobstruktionen beschränkt. Der Würdigung solchen Verteidigerverhaltens sind enge Grenzen gesetzt. Eine für das Gericht nicht oder nur schwer nachvollziehbare Verteidigungshandlung kann aus Sicht des Angeklagten noch sinnvoll und notwendig erscheinen, um eine entgegenstehende Beweisführung anzuzweifeln. Eine formal korrekt geführte Verteidigung ist, auch wenn sie alle prozessualen Möglichkeiten exzessiv ausnutzt, solange hinzunehmen, wie sie sich der Wahrheitsfindung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren noch verpflichtet fühlt9. Die vom Landgericht angeführten Verhaltensweisen des Verteidigers überschreiten auch in der Vielzahl ihrer Auflistung die hierdurch gezogenen Grenzen nicht.
Die in der angefochtenen Entscheidung angeführten Gründe rechtfertigen es daher nicht, die Beiordnung des Wahlverteidigers unter Zurückstellung der Interessen des Angeklagten abzulehnen.“
Die Rechtsanwalt S. angelasteten Verhaltensweisen mögen störend, teilweise nicht sachdienlich und aus Sicht des Gerichts auch ärgerlich gewesen sein. Sie waren jedoch in keinem Fall von einem solchen Gewicht, dass dadurch die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens ernsthaft gefährdet worden wäre, nicht einmal eine schwerwiegende Verfahrensverzögerung ist zu erkennen.
OLG Köln, Beschluss v. 12.05.2006 – 2 Ws 188/06
- OLG Köln NStZ 1991, 248 [↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.03.2006 – 2 BvQ 10/06 -, Beschluss des Senats vom 17.08.2005 – 2 Ws 317/05 - [↩]
- Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 22005, § 142 Rdnr. 3 m. w. N. [↩]
- OLG Hamm NStZ 2004, 641 [↩]
- vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 138a Rdnr. 11 m. w. N. [↩]
- vgl. OLG Köln NStZ 1991, 248, 249; KG StV 1993, 236 [↩]
- OLG Köln NJW 2005, 3588 [↩]
- vgl. OLG Köln NStZ 1991, 248, 249; KG StV 1993, 236 [↩]
- BGH NStZ 2005, 341 [↩]