Widerruf der Bestellung bei Stellungnahme ohne Absprache

Widerruf der Bestellung bei Stellungnahme ohne Absprache

Der Widerruf der Bestellung als Pflichtverteidiger ist aus wichtigem Grund gegeben, wenn der Pflichtverteidiger für den Angeklagten eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgegeben hat, die mit diesem nicht zuvor abgesprochen war.

I.
Die Bestellung von Rechtsanwalt … K. zum Pflichtverteidiger wird widerrufen.

Gründe:
1. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Verfügung vom 6.5.2014 Rechtsanwalt … K. zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt. Mit Schreiben vom 9.10.2014 an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat der Angeklagte angegeben, dass er sich von Rechtsanwalt K. nicht verteidigt fühle, da er von diesem seit dem letzten Brief vom 9.9.2014 nichts mehr gehört habe. Er wolle Rechtsanwalt Dr. A. als Pflichtverteidiger. Dieser hat mit Schreiben vom 24.10.2014 hierzu rechtliche Ausführungen gemacht.

Rechtsanwalt K. hat als Stellungnahme zu diesem Schreiben vom 9.9.2014 mit Schreiben vom 28.10.2014 mitgeteilt, dass er den Angeklagten bislang sechsmal besucht habe, zuletzt am 1.8.2014. Er habe dem Angeklagten am 13.8.2014 und 9.9.2014 zwei Schreiben übersandt. Ein geplanter Besuch für den 15.10.2014 habe nicht stattgefunden, weil die JVA München ihm mitgeteilt habe, der Angeklagte wolle ihn nicht sehen. Die Stellungnahme zur Anklageschrift stelle sich problematisch dar, weil eine Besprechung mit dem Angeschuldigten schwierig sei. Notfalls werde diese in Abstimmung mit dem Kollegen Dr. A. erfolgen.

Mit Schreiben vom 4.11.2014 hat Rechtsanwalt K. zur Anklageschrift Stellung genommen. Er hat u. a. vorgetragen, der Angeklagte habe gegenüber Frau S. im Telefonat vom 15.1.2014 lediglich vortäuschen wollen, dass er von Bedeutung sei und es ständig um Leben und Tod gehe. Ein Bestreben des Angeklagten, … B. töten zu lassen, habe aber zu keinem Zeitpunkt bestanden. Zum Vorwurf der Beteiligung am Angriff auf das Zentralgefängnis von Aleppo hat Rechtsanwalt K. u. a. ausgeführt, der Angeklagte sei aus Neugier getrieben am Ort der früheren Kampfhandlungen unter Beschuss geraten. Die abgegebenen Schüsse seien nicht zielgerichtet, sondern wahllos erfolgt, um sich zurückziehen zu können.

Rechtsanwalt Dr. A. hat am 12.11.2014 angegeben, dass Rechtsanwalt K. nach seinem Kenntnisstand die Stellungnahme vom 4.11.2014 nicht mit dem Angeklagten oder ihm (Rechtsanwalt Dr. A.) besprochen habe.

Rechtsanwalt K. hat hierzu mit Schreiben vom 14.11.2014 erwidert, dass eine Besprechung mit dem Angeklagten innerhalb der Stellungnahmefrist nicht möglich gewesen sei, da der Angeklagte aktuell keine Besuche wünsche. Am 15.10.2014 hätten das Ergebnis einer neuen Akteneinsicht und die Inhalte einer Stellungnahme zur Anklageschrift genauer erörtert werden sollen. Dieser Termin habe wegen der Ablehnung des Angeklagten jedoch nicht stattgefunden. Aus den früheren Gesprächen mit dem Angeklagten sei es aber möglich gewesen, entsprechende Erkenntnisse zu ziehen, so dass zusammen mit dem Akteninhalt vor allem zu Beweisfragen Ausführungen möglich gewesen seien. Es sei bereits die prinzipielle Marschrichtung in dem Verfahren besprochen worden.

Der Generalbundesanwalt hat mit Schreiben vom 31.10.2014 und 14.11.2014 Stellung genommen.

2. Der Widerruf der Bestellung als Pflichtverteidiger aus wichtigem Grund ist gesetzlich nicht vorgesehen, jedoch zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann. Das ist vom Standpunkte eines vernünftigen und verständigen Angeklagten aus zu beurteilen1.

Ein derartiger Fall liegt hier vor. Zwar genügt es nicht, dass der Angeklagte sich von Rechtsanwalt K. nicht verteidigt fühlt und deshalb keine Gespräche mit diesem mehr führen will. Andernfalls hätte der Angeklagte es in der Hand, einen Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung herbeizuführen. Allerdings spricht das Verhalten von Rechtsanwalt K. nach Kenntnisnahme der Ablehnung der weiteren Verteidigung durch den Angeklagten dafür, dass tatsächlich eine endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt K. vorliegt. Dieser hat nämlich eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgegeben, die nicht mit dem Angeklagten abgesprochen war. Am 15.10.2014 sollte hierzu eine Besprechung stattfinden. Der Angeklagte sagte jedoch diese Besprechung ab.

Wenn Rechtsanwalt K. gleichwohl eine Stellungnahme zur Anklageschrift abgegeben hat, obwohl diese zunächst mit dem Angeklagten am 15.10.2014 abgesprochen werden sollte, so muss der Angeklagte den Eindruck haben, der Verteidiger vertrete nicht in ausreichendem Maße seine Interessen. Rechtsanwalt K. hat erkannt, dass die Erstellung einer Stellungnahme zur Anklageschrift problematisch sei. Notfalls werde diese in Abstimmung mit dem Kollegen Dr. A. erfolgen. Dies teilte Rechtsanwalt K. dem Senat mit Schreiben vom 28.10.2014 mit.

Trotzdem hat Rechtsanwalt K. in seiner Stellungnahme vom 4.11.2014 nicht lediglich als Organ der Rechtspflege die Beweise in der Anklageschrift gewürdigt. Vielmehr enthält diese Stellungnahme tatsächliche Einlassungen, die weder mit dem Angeklagten noch mit dem weiteren Verteidiger Dr. A. abgesprochen worden waren.

Zwar sind Schriftsätze des Verteidigers, die eine Sachdarstellung enthalten, in einer Hauptverhandlung nicht verlesbar2. Sie zeigen jedoch die Verteidigungslinie des Angeklagten auf. Ist diese Verteidigungslinie nicht mit dem Angeklagten abgesprochen, so muss der Angeklagte die Befürchtung haben, dass der Verteidiger auch in der Hauptverhandlung ohne Absprache mit ihm agiert. Dies begründet die endgültige und nachhaltige Erschütterung des Vertrauensverhältnisses und stellt damit einen wichtigen Grund für den Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung dar.

OLG München, Verfügung vom 18.11.2014 – 7 St 7/14 (2)
abgedruckt in StV 2015, 155

  1. vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 143 Rdn. 3 ff. m.w.Nachw. []
  2. vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a. a. O. § 249 Rdn. 13 []