Kein Besuch des Pflichtverteidigers in der Untersuchungshaft

Kein Besuch des Pflichtverteidigers in der Untersuchungshaft

Der fehlende Besuch des Pflichtverteidigers über einen Zeitraum von zwei Monaten bei einem wegen versuchten Totschlags einstweiligen untergebrachten Beschuldigten vermag das fehlende Vertrauen des Beschuldigten zu dem beigeordneten Verteidiger zu rechtfertigen und stellt mithin einen Grund für eine Entpflichtung dar.

I. Der Besch. ist seit 11.05.2014 aufgrund Unterbringungsbefehls des AG Ingolstadt vom selben Tag wegen versuchten Totschlags einstweilen untergebracht, weil dringende Gründe für die Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB sprächen. Zugleich wurde dem Besch. durch den Ermittlungsrichter gem. § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO ein Pflichtverteidiger bestellt.

Mit Schriftsatz v. 04.07.2014 hat der Wahlverteidiger des Besch. einen Pflichtverteidigerwechsel beantragt. Zur Begründung wird vorgetragen, der bisherige Pflichtverteidiger habe den Besch. in der einstweiligen Unterbringung im Verlauf von fast zwei Monaten nicht einmal persönlich aufgesucht, es habe lediglich ein telefonischer Kontakt stattgefunden. Der Pflichtverteidiger hat mit Schriftsatz v. 16.07.2014 darauf hingewiesen, dass zwischen ihm und dem Besch., den er im letzten Jahrzehnt mehrfach wegen verschiedener Delikte vertreten hätte, ein Vertrauensverhältnis bestünde, er mit ihm anlässlich der polizeilichen Vernehmung v. 11.05.2014 ein ausführliches Gespräch geführt habe und nach seiner Überführung in das Bezirkskrankenhaus telefonisch übereingekommen sei, dass die weitere Verteidigungsstrategie erst nach dem Vorliegen des psychiatrischen Gutachtens mündlich erörtert und festgelegt werden sollte.

Das AG Ingolstadt hat mit Beschl. v. 23.07.2014 den Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel abgelehnt. Hiergegen hat der Wahlverteidiger mit Schriftsatz v. 26.08.2014 Beschwerde eingelegt. (…)

II. Dem Antrag auf Pflichtverteidigerwechsel war zu entsprechen.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist dann entsprechend § 143 StPO aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Besch. und Verteidiger endgültig und nachhaltig erschüttert ist und deshalb zur Besorgnis führt, dass die Verteidigung objektiv nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Dies ist vom Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Besch. heraus zu beurteilen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Es ist allg. anerkannt, dass der fehlende Besuch eines Pflichtverteidigers über einen längeren Zeitraum von fast zwei Monaten in der U-Haft bzw. einstweiligen Unterbringung das fehlende Vertrauen des Beschuldigten zu dem beigeordneten Verteidiger rechtfertigt und deshalb einen wichtigen Grund für die Entpflichtung darstellt. Die telefonische Übereinkunft, mit einem Besuch des Verteidigers bis zum Ergebnis der psychiatrischen Begutachtung zuzuwarten, ändert daran nichts. Zwar mag dem Verteidiger, der über Aktenkenntnis und juristisches Fachwissen verfügt, ein Zuwarten bis zu diesem Zeitpunkt vernünftig erscheinen. Aus Sicht des nicht in Freiheit befindlichen Besch. hingegen ist angesichts des Tatvorwurfs und der drohenden unbefristeten Unterbringung nach § 63 StGB ein persönliches Gespräch mit seinem Verteidiger unter Mitteilung des Akteninhalts und Erörterung der anstehenden psychiatrischen Begutachtung jedenfalls vor der Exploration durch den Sachverständigen angezeigt.

Die ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses ist deshalb durch den Besch. nachvollziehbar und ausreichend dargelegt.

LG Ingolstadt, Verf. v. 22.09.2014 – 1 Ks 20 Js 6876/14 (abgedruckt in StV 2015, 27)